PURPLE BLUE
Clara Bausch
purple blue, das tief-leuchtende, fast schwarze Ultramarin, die Farbe des Firmaments nach dem Untergang der Sonne und dem Löschen des elektrischen Lichts. Es ist die Farbe, die wir sehen, wenn sich unsere Augen schließen um den Blick nach innen zu öffnen für die Bilder, die aus den Schichten des Unbewussten auftauchen.
Im Traum ist die Einheit von Ort und Zeit aufgehoben. Das Hirn schöpft spielerisch aus dem großen Fundus aller Eindrücke und zeigt mögliche Konstellationen. Manche Bestandteile davon erkennen wir wieder, doch zumeist verwundern sie uns, da sie ganz anders sind als die, die wir unter den Bedingungen wahrnehmen, die wir real nennen. Sinn ergibt sich im Rückblick auf das im Traum Erlebte beim Abgleich mit der bewussten Erzählung, die wir für unser Leben formuliert haben.
Clara Bauschs Ausstellung gewährt Einblicke in dieses Feld zwischen Traum und Deutung, Assoziation und Reflexion. Eine schnelle Übersicht ist schwer möglich – große Stoffbahnen fragmenteren die Perspektive. Darauf gedruckt zeigen sich monochrome Gefüge aus Splittern von Bildern, die scharfkantig aufeinandertreffen, sich verdichten und wieder in Strukturen auflösen. Bekanntes blitzt auf, Teile von Körpern und Gesichtern. Mal scheinen sie sich wie facettierte Volumen in den Raum zu wölben, mal bilden sie einen Durchblick in eine andere, dunklere Welt.
Der Ausschnitt als Einblick in Größeres begegnet uns auch bei den am Boden versammelten Bohrkernen. Als Proben legen sie tiefere Schichten offen und ermöglichen Erkenntnis über das, was Oberflächen stets sorgsam verbergen. Als Skulpturen befragen sie das übliche Verhältnis von Positiv und Negativ im Bildschaffen. So wie die Gussform bloß die vergängliche Vorstufe der Plastik, ist das vom Meißel Abgeschlagene der Abfall in der Bildhauerei. Hier jedoch wird das Weggenommene zum eigenständigen Bild, und bezeugt zugleich die Öffnung, die es hinterlassen hat, für das Licht, das nun hinein- und hindurchfallen kann.
Beim Betrachten der Formation wandert der Blick hoch zu dem Siebdruck in zarten Pastelltönen links vom Eingang der Ausstellung. Eine fast formabüllende Fläche zeigt in farbigen Schlieren den direkten Auftrag der Druckfarbe mit der Rakel. Darauf sitzt eine Konstellation von grauen Formen. Sie erinnern an Organe, die auf einem Röntgenbild erscheinen. Wie bei den Motiven auf den großen Stoffbahnen handelt es sich um Fragmente von Bildern, die jedoch stark vergrößert ihr Motiv verunklaren. Dafür thematisieren sie umso stärker ihre Herkunft als Medienbilder durch die sichtbare Rasterung, die verwandt wird, um Fotografien für den Druck von Zeitungen aufzubereiten. Die Leerstellen im Raster werden gefüllt durch das Gelb, Magenta und Blau der Farbfläche. So verbinden sich das reine Material und die Fotografie zu einem Bild, das im Plakatformat die Bedingungen und Möglichkeiten des Siebdrucks als Verfahren und Medium reflektiert.
An der gegenüberliegenden Wand befindet sich ein kleines Gemälde, das beim Betreten der Ausstellung noch sichtbar, aus der jetzigen Perspektive jedoch von den Stoffbahnen verborgen wird. Es erkundet auf malerische Weise das Verhältnis von Fläche und Bildraum, Materialität und intentionaler Gestaltung. Hier wird erstmals die Spur der Künstlerinnenhand sichtbar, wenn auch nicht so sehr im Strich des Pinsels, als in den harten Kerben, die ihre Messerklinge hinterlassen hat, um tiefere, verdeckte Farbschichten offenzulegen.
Und so ist die Ausstellung auch eine Art Blick in biografische Schichten. Clara Bausch hat ihre Ausbildung mit der Malerei begonnen, bis sie sich fotografischen Verfahren zuwandte. Sie ist eine Finderin von Bildern und Dingen und schöpft aus einem reichen Schatz an Material. Der Siebdruck erlaubt ihr die Verbindung der beiden Wege, um etwas Drittes zur Erscheinung zu bringen. Was hier nicht gezeigt wird, ist der Film, dessen Möglichkeiten Clara Bausch seit Jahren beforscht. Seine essenziellen Merkmale, das Verhältnis von Licht und Dunkel, Positiv und Negativ, und die Verbindung einzelner Bilder, die Bewegung und Erzählung entstehen lassen, sind jedoch unterschwellig wirksam in dieser Ausstellung. Erst durch unsere Bewegung durch den Raum nehmen die einzelnen Elemente Bezüge zu einander auf und wir können Zusammenhänge herstellen, so dass für uns Sinn entsteht. Letztlich ist purple blue auch die Dunkelheit im Kinosaal vor Beginn und nach Ende des Films.
Text: Stefanie Bringezu